Ost in Space reviewed Die Möglichkeit von Glück by Anne Rabe
Gelungene Biografiearbeit
4 stars
Content warning viele Spoiler zum Handlungsverlauf enthalten
Ich weiß gar nicht so genau warum mich dieser Roman so fasziniert, aber vielleicht sind es diese unglaublich vielen Parallelen?
Ich frage mich woher das kommt, sicher nicht weil es irgendeinen mysteriösen Zufall gibt, dass die fiktive Familie, die Anne Rabe dort in dem Buch anonymisiert beschreibt, so unglaublich ähnlich zu so vielen anderen, geradezu idealtypischen, Familienbiografien aus Ostdeutschland ist?
Ich glaube eher, dass sie da ganz viele kleine Dinge zusammengetragen hat, die alle zusammengenommen super charakteristisch für diese spezielle Zeit sind, in der die da groß geworden ist.
Soweit ich weiß ist die Familie in dem Roman eine reine Fiktion. Aber wie bei so vielen Büchern dürfte das eine Konstruktion aus sehr vielen verschiedenen realen Vorbildern sein. Die Lebensläufe die sich in dieser Familie treffen wirken auf mich so realistisch und gut getroffen, dass es mir schon richtig schaudert wegen der vielen Zufälle.
Das Mecklenburg ihrer Kindheit dass sie beschreibt ist ja real, dass die Stadt Wismar heißt, wird in dem Buch an keiner Stelle geschrieben aber es ist sehr einfach zu erkennen, schon allein an der Sage vom Trommler der in den Tunneln unter des Marktplatzes leben würde, aber auch am Unesco-Weltkulturerbe, der Geschichte von der Werft, welche unschwer als die Mathias-Thesen-Werft zu erkennen ist, die jetzt tatsächlich in einen Rüstungskonzern eingegliedert wurde und eventuell bald U-Boote herstellt. Aber wegen der Backsteinkirchen und natürlich dem Russenberg, mit dem bis heute noch das Gelände der ehemaligen sowjetischen Kaserne bezeichnet wird.
Aber auch dramaturgisch ist es super gelungen. Die Biografiearbeit, die sie dort als einen der parallelen Handlungsstränge darstellt wird erst zum Ende gelüftet und das ohne den großen Knall vom Superverbrecher, den man zu Beginn vielleicht erwarten konnte. Aber trotzdem ist Paul Bahrlow verstrickt genug. Vor allem verstrickt genug um exemplarisch für viele andere Großväter stehen zu können.
Schade finde ich, dass die andere Handlungsebene mit ihrer Mutter und deren Versuch ihr das Kind oder zumindest das Besuchsrecht zum Kind streitig zu machen, nicht weiter aufgelöst wird. Ist aber, weil es vermutlich eh nicht aus ihrer eigenen Biografie kommt, auch nicht so relevant.
Was ich schwierig finde, sind diese Stellen, die irgendwie nach der Handlung einsetzen. Diese aktuellen Einschübe zum Krieg gegen die Ukraine oder zur AfD. Also einerseits passt es super und ist wichtig, weil es zur Beschreibung der Gesellschaft und ihrem Wandel zwingend dazugehört und diese Ereignisse vor dem Hintergrund der Lebensgeschichten der Personen auch wie eine in sich logische Fortsetzung wirken, andererseits wirkt es künstlich hinzugefügt, da es nicht konkret verbunden scheint mit den handelnden Charakteren und deren Erlebnissen.
Wegen der Handlung würde ich diesen Roman nicht noch einmal lesen wollen. Es ist viel mehr die Welt in der diese Geschichte spielt, die das Buch so interessant macht. Daher von mir 4 von 5 Sternen.